Unsere Kinder sollen keine Außenseiter sein

15 kleinwüchsige Kinder bei bundesweit erstem Schwimmkursus im Bürgerbadepark -Seepferdchen- und Freischwimmerabzeichen geschafft

Von Bettina Habermann

Ein bisschen zögernd steht Annika am Beckenrand im Bürgerbadepark. Doch als Marian-Louise Giffhorn der Siebenjährigen die Arme entgegenstreckt, wagt sie den Sprung. Eine große Leistung für das 92cm kleine Mädchen. Eine Mutprobe, die sie bereits nach der zweiten Unterrichtsstunde mit Bravour absolviert.

15 Kinder zwischen 5 und 8 Jahren nehmen im Bürgerbadepark mit ihren Eltern am bundesweit ersten Schwimmkursus für Kleinwüchsige teil. Sie sind aus Heek bei Münster, Kiel, Bremen, Ihlow bei Emden, Hannover, Fürstenberg bei Paderborn, Köln, Heiligenrode, Bad Mergentheim, Bielefeld und Frankfurt für eine Woche nach Braunschweig gekommen. Unter der Leitung von Marian Giffhorn und Eva Birtler sowie mit Unterstützung der Schwimmmeister Diana Rieck und Hans-Joachim Münch sollen die Kinder Vertrauen zum Element Wasser fassen, sich darin wohl fühlen und entspannen, Spaß haben und - quasi nebenbei - auch schwimmen lernen.

Für Annikas Mutter Andrea Pals ist schon nach zwei Trainingseinheiten klar: "Es hat sich gelohnt, nach Braunschweig zu kommen." Denn nachdem Annika bei einem regulären Schwimmkursus einmal untergegangen war, hatte die Siebenjährige panische Angst vor Wasser - und jetzt springt sie hinein! "In diesem Kursus wurde mit den richtigen Übungen zum Verhalten über und unter Wasser begonnen", erklärt Andrea Pals.

Marian Giffhorn arbeitet seit 15 Jahren ehrenamtlich für den Bundesverband kleinwüchsiger Menschen, berät und unterstützt Eltern, Kinder und Institutionen. "Immer wieder wurde mir die Frage gestellt, wie man kleinwüchsigen Kindern vor allem mit disproportionierten Kleinwuchsformen schwimmen beibringen kann. Ich sah darin einen deutlichen Handlungsbedarf", sagt die Diplom-Sozialpädagogin. Bei den beiden Schwimmmeistern des Bürgerbadeparks stieß Giffhorn ebenso auf offene Ohren wie bei der Diplom-Pädagogin Eva Birtler, die sie in ihrem Vorhaben unterstützen. "Der Erfolg des Angebots zeigt die Notwendigkeit", betont Giffhorn.

Das sieht Petra Hein genauso. Sie ist mit Sohn Erik (7) aus Bielefeld angereist. Dass Kinder heute frühzeitig schwimmen lernen, ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Das gilt auch für Erik, der mit Achondroplasie geboren wurde, einer Kleinwuchsform, bei der der Kopf im Verhältnis zum Körper zu groß ist. Nach dem Willen seiner Mutter soll der Siebenjährige in der Schule nicht benachteiligt sein, wenn im Sportunterricht Schwimmen auf dem Stundenplan steht. "Unsere Kinder sollen keine Außenseiter sein", unterstreicht Petra Hein. Lange Zeit war sie selbst in einer Außenseiterposition - erst im Bürgerbadepark lernt sie schwimmen...

"Im Wasser ist Bewegung für Lars leichter", berichtet Inge Tacken. Und wie zum Beweis taucht der Junge, der gestern sieben Jahre alt wurde, unter. Marian Giffhorn zählt die Sekunden, Lars hebt seinen Daumen, und Inge Tacken streckt ihren Arm aus, an dem sich ihr Sohn beim Auftauchen festhält. Diastrophische Dysplasie nennt sich die Kleinwuchsform, die dem Siebenjährigen angeboren ist. Kurze, steife Gliedmaßen, fehlende Kniescheiben, Klumpfüße sind kennzeichnend dafür.

Umso größer ist Lars "Erfolg zu werten: Als einziger erreichte er am Ende des Kurses das Freischwimmerabzeichen. Sechs Kinder schafften das Seepferdchen - auch Annika gehört dazu.

Montag, 27.10.2003